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Technik

Wie Synchrotronstrahlung alte Musik rettet

Röntgenlicht macht beschädigte Tonbänder lesbar und hilft bei der Digitalisierung

Tonband mit B.B.King-Aufnahme
Magnettonband mit historischer Aufnahme von B.B. King von 1980. Das Tonband ist stark degradiert, doch Synchrotron-Röntgenlicht kann die Musik auslesen und vor dem Vergessen bewahren. © EPFL/Alain Dufaux

Ob Popsongs aus den 1980ern, Klassik-Mitschnitte oder alte Jazz-Aufnahmen: Eine neue Methode hilft dabei, historische Aufnahmen auf Magnetbändern auszulesen und zu digitalisieren – selbst wenn sie schon stark degradiert sind. Möglich wird dies durch das Abtasten mit Synchrotron-Röntgenlicht. Dieses kann auch die Magnetisierung von beschädigten Tonbandabschnitten noch auslesen und so wertvolle und oft einzigartige Musikaufnahmen retten.

Jahrzehntelang waren Magnet-Tonbänder die Methode der Wahl, wenn Musik in hoher Qualität aufgenommen und gespeichert werden sollte. Doch sie halten nicht ewig, wie 2022 die verbliebenen Bandmitglieder von Queen feststellen mussten: Sie hatten ein Tonband von 1988 entdeckt, auf dem ein nichtveröffentlichter Song von ihrem Sänger Freddy Mercury gespeichert war. Allerdings war das Band stark beschädigt, sodass die Fragmente nur mit enormem Aufwand ausgelesen, digitalisiert und zusammengesetzt werden konnten.

Magnetisierung eines Tonbands
Magnettonbänder bestehen aus einer Schicht winziger magnetischer Teilchen – ähnlich wie Kompassnadeln, deren Ausrichtung zur Speicherung von analoger oder binärer Information verwendet wird. © Paul Scherrer Institut / Dominik Blatter

Es gelang: Am 13. Oktober 2022 wurde der Song „Face It Alone“ veröffentlicht und stürmte die weltweiten Charts – 30 Jahre nach seiner Entstehung. „Das Beispiel zeigt: Tonbänder sind nicht für die Ewigkeit geschaffen“, erklärt der Physiker Sebastian Gliga vom Paul Scherrer Institut. Auf den Bändern werden die Informationen über die Ausrichtung einer magnetischen Schicht gespeichert. Doch diese Magnetschicht degradiert mit der Zeit. „Das Material zerfällt und lässt sich nicht mehr abspielen“, so Gliga.

Röntgenlicht als Auslesehilfe

Doch Gliga und sein Team haben nun eine neue Methode entwickelt, mit der sich selbst stark geschädigte Magnet-Tonbänder noch auslesen lassen. Statt eines normalen Lesekopfes verwenden sie Synchrotronstrahlung. Die einheitliche Polarisierung dieses intensiven, fokussierten Röntgenlichts ermöglicht es, magnetische Materialien weit genauer und kontraststärker auszulesen als herkömmliche Abtastmethoden.

Der Grund: Die Synchrotronstrahlung liest nicht das Feld der relativ großen Magnetfeld-„Bits“ auf dem Band aus, sondern die einzelnen Spins, die dieses Feld erzeugen. „Die Magnetisierungszustände dieser winzigen Teilchen, deren Größenordnung weniger als ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen Haares beträgt, lassen sich mit Röntgenlicht der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) fast individuell auslesen und in ein hochwertiges Audiosignal umwandeln“, so der Forscher.

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Da sich mit dem Synchrotronlicht fast jede einzelne magnetische Kompassnadel auf dem Tonband messen lässt, kann man damit eine hohe Auflösung erzielen und auch kleinste Relikte der ursprünglichen Daten erfassen. „Wir erreichen damit so etwas wie die bestmögliche Kopie“, berichtet Gliga.

Konzertmitschnitt von B.B. King – ein Härtefall

Auf Gligas Labortisch liegt momentan ein einmaliger Konzertmitschnitt des legendären Bluesgitarristen B.B. King. 1980 gab der „King of the Blues“ ein 48-minütiges Konzert beim Montreux Jazzfestival. Heute lassen sich mit normalen Methoden jedoch nur noch zehn Sekunden dieses einmaligen Zeitzeugnisses abspielen. Die chemische Magnetschicht des Tonbandes ist so weit zerfallen, dass jede Wiedergabe in einem herkömmlichen Abspielgerät das Band nur noch weiter zerstört.

An diesem Punkt kommt ein weiterer Vorteil der Synchrotronstrahlung ins Spiel: Es kann die Bänder berührungsfrei abtasten, ohne ihre Substanz weiter zu schädigen. „Wir interessierten uns für die Aufnahme von B.B. King nicht nur wegen ihres musikalischen Inhalts, sondern auch wegen der Herausforderung, die der Zustand ihres Verfalls mit sich bringt“, sagt Gliga. Die Wiederherstellung der B.B.-King-Aufnahme erfolgt parallel zu Bemühungen des Montreux Jazz Digital Projects und der United Music Foundation, ähnlich beschädigte Bänder durch physikalische Behandlungen so zu restaurieren, dass sie auf herkömmlichen Abspielgeräten wieder gespielt werden können.

Die Synchrotronmethode soll ergänzend eingesetzt und weiterentwickelt werden, um besonders fragile Bänder auszulesen und zu digitalisieren. Denn in den Archiven der Tonstudios, Radio- und TV-Sendern, Museen und privaten Kollektionen weltweit lagern noch immer große Mengen solcher analogen Datenträger. Diese einzigartigen Zeitzeugnisse der Musik könnten mithilfe des Röntgenlichts vor dem Vergessen bewahrt werden.

Quelle: Paul Scherrer Institut (PSI)

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